Frankfurter Allgemeine Zeitung
EVA-MARIA MAGEL, 22.2.2016

Ringlein, Ringlein

Liora Hilb gelingt ein autobiographisches Theaterstück

Es könnte so gewesen sein. Dass der Ring, von einer Hand zur anderen, aus der Hölle herausgekommen ist und dann über das Meer. Bis er im vierten Obergeschoss eines Hauses in Tel Aviv gelandet ist, wo eine schöne junge Frau mit wilden dunklen Locken die Tür öffnet und ihn verwundert entgegennimmt: den Diamantring ihrer Schwiegermutter, die sie nie gekannt hat.

Die andere Frau mit wilden dunklen Locken, die ihn jetzt ab und an trägt, erntet verstohlene Blicke auf ihre Hand. Sie ist in der Kindertheaterszene über ihren Wohnort Frankfurt hinaus bekannt. Meist spielt sie für Jüngere, oft für die Jüngsten, mit ihrem Theater La Senty Menti. Diesmal spielt Liora Hilb für Zuschauer von zwölf Jahren an ihre eigene Geschichte und diejenige ihrer Familie. ,,Remembering“ heißt das Stück. Weil es an den Ring erinnert, den Hilb, wie so vieles richtig ist in dieser dichten Bühnenstunde, nicht zur Schau stellt. So, wie man die meisten der 87 Mitglieder der Familie Hilb nicht sieht. Nach 1945 waren es elf, die übrig waren, über die ganze Welt verstreut. Und der Ring, den Hilbs Großmutter Jenny trug, ist irgendwie nach Tel Aviv gekommen, zu ihrem Vater. Die Großmutter ist in Auschwitz ermordet worden. Am 30. Januar 1943 kam Jenny Hilb dort an, danach gibt es keine Spur mehr.Der Vater, der Onkel, die Cousine, alle schwiegen sie, wenn die junge Liora fragte. Woher denn der glitzernde Ring sei, was mit der Großmutter geschehen sei, warum, wieso, weshalb. Schweigen, sagt Hilb, sei auch eine Sprache. Sie hat ihre Bühnensprache, setzt starke Gesten, hält sich die Finger an die Schläfen, fällt dutzendmal wie nach einem Kopfschuss, bricht das Schweigen mit dem wütenden Plopp-Plopp eines Tennisballs. Dem Trauma der Familie, dem Nicht-Erinnern, dem eigenen Leiden, das sie früh spürte, ohne dass es, augenscheinlich, einen Grund zum Leid gegeben hätte, begegnet sie im Spiel. Auch der Wut, die sie spürte, als Entwurzelte im kalten Deutschland. Denn der Vater, 25 Jahre lang im fremden Land, ohne die Sprache zu lernen, zog mit der Familie von der Heimat Tel Aviv in seine Heimat Deutschland. Die dunklen Locken waren dort kein Exotenbonus.

Es ist ein hohes Risiko, eine so persönliche Geschichte auf die Bühne zu bringen, zumal für ein junges Publikum. Aber mit Sabine Loew, die Regie geführt und die in einer Bühneninstallation von Cornelia Falkenhan projizierten Videos produziert hat, sowie mit der Musik von David Kirchner, die sich bis zum Techno schraubt, gelingt es Hilb, über das Autobiographische weit hinaus zu weisen. Sie hat Gespräche mit Kindern und Jugendlichen über den Holocaust, die Heimat und das Fremdsein geführt und setzt sie in Bezug zu ihrer eigenen Geschichte. Ihre Tochter Stella übernimmt diesen Part, Hilb selbst erzählt in Bildern und Sprachspielen ohne Sentimentalität und ohne Anbiederung.

„Der Ring hat‘s geschafft – und wir auch“, sagen Mutter und Tochter am Ende, und man hört sie beinahe mit, all die verstummten Stimmen. Hilb hat sich vorgenommen für Jüngere die Fragen zumindest zu stellen, und nach Antworten zu suchen, für ein Zeitzeugenstück der nächsten Generation. Auch das hat sie geschafft.

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Frankfurter Rundschau
ANDREA POLLMEIE R, 22.2.2016

Großmutters Ring in Tel Aviv

„remembeRing. Besser ist, wenn du nix weißt“: Liora Hilb erzählt ihre Familiengeschichte für Jugendliche und Erwachsene am Theaterhaus Frankfurt.

Wer Zerstörung und Gewalt erfährt, ist davon nicht nur selbst betroffen. Folgen sind oft bis in die nachfolgenden Generationen spürbar. Doch verlangt es Mut, öffentlich davon zu sprechen. Die Schauspielerin Liora Hilb hat jetzt zusammen mit der Dramaturgin Miriam Locker ein Theaterstück entwickelt, das sich der eigenen Lebensgeschichte zuwendet und diese geschickt mit gegenwärtigen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung verknüpft. In der Regie von Sabine Loew wurde „remembeRing. Besser ist, wenn du nix weißt“ jetzt am Theaterhaus Frankfurt uraufgeführt.

Ein Ring wird zum Boten der Erinnerung. Jahrzehnte nachdem Liora Hilbs Großmutter „Jenny“ im Konzentrationslager Auschwitz getötet worden ist, klingelt in Tel Aviv ein Unbekannter an der Wohnungstür und überreicht ein Päckchen. Niemand weiß, wie der Ring in die Hände des Fremden kam. Niemand fragt nach, niemand will Genaueres erfahren. Erst als die Enkelin den Ring später erbt, werden Fragen wach, die in der Familie Jahrzehnte verdrängt worden sind und die nun das Gerüst des Stücks bilden.Behutsam beginnt der Weg zurück. Auf weiße Stoffe, die anfangs wie ein Triptychon gruppiert sind, werden Familienbilder projiziert. Alltag in Ulm. Langsam erweitert sich das Bild, überlagerndeStoffschichten werden auseinandergezogen, Bilder erscheinen nun auch im Hintergrund und wachsen über den Bühnenrand hinaus. Parallel bildet sich auf der Bühne ein durchscheinender Erinnerungsraum, der das Hier vom Früher trennt (Bühne: Cornelia Falkenhan). In diesen Raum tritt Liora Hilb. Hier stellt sie, einen Tennisball dribbelnd, ihre Fragen. Immer heftiger wird ihr Schlag, immer drängender ihr Ton. Doch niemand will antworten. Empört stößt sie den Ball ins Off.

Enkelin und Urenkelin

Mit einfachen Mitteln gelingt es Liora Hilb, die 2002 das Kindertheater La Senty Menti gegründet hat, die komplexe Familiengeschichte nachzuzeichnen und Emotionen spürbar zu machen. Ergänzt wird die eigene Erzählung durch Videoeinspielungen, in denen Stella Hilb, die an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Schauspiel studiert hat, Zitate aus Briefen und an Schulen geführten Interviews wiedergibt.

Liora und Stella Hilb – Jennys Enkelin und Urenkelin sind auf diese Weise auf der Bühne präsent. Beide Schauspielerinnen treten mit ihren Klarnamen vor die Zuschauer, ohne jedoch ins Private abzugleiten. Diese Balance aus Nähe und subtiler Zurücknahme gibt der Inszenierung ihre außergewöhnliche Energie. Die Folgen des Holocaust sind in diesem Moment ungewöhnlich real.

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Frankfurter Neue Presse
Astrid Biesemeier , 24.2.2016

Ein Ring weist den Weg in die Vergangenheit

Mit „RemembeRING – Besser ist, wenn du nix weißt“ erinnert „La Senti Menty“ im Theaterhaus Frankfurt an die Geschichte einer jüdischen Familie vor, während und nach der Shoah.

Das Konzentrationslager Auschwitz steht für ein beispielloses Verbrechen. Ein Verbrechen, das die Ausrottung des europäischen Judentums zum Ziel hatte. Auch die Großmutter von Liora Hilb vom Theater „La Senty Menti“ wurde 1943 in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet. Ihre Kinder flohen nach Palästina. Doch 1970 kehrt der Vater von Liora Hilb zurück nach Deutschland. Liora gelangt in den Besitz eines Rings der Großmutter. Ein Ring, der in „RemembeRING“ gewissermaßen Anlass für das Erinnern ist ….

Und so fragt Hilb: „Wie erzählt man, was man nicht weiß?“ Denn auch wenn die Theatermacherin schon als Kind wusste, dass Ihre Großmutter in Auschwitz ermordet worden war, gab es doch viele Fragen, auf die sie nie eine richtige Antwort erhielt. Auch darüber, wie der Ring das Konzentrationslager überhaupt verlassen und zu ihr gefunden haben könnte, kann nur im Konjunktiv des Spekulierens gesprochen werden.Brennende Synagogen. Bilder wie aus einem Familienalbum werden in dem multimedialen Mosaik aus Erinnerungssplittern und Fragen auf die halbtransparenten Stoffbahnen im Theaterhaus projiziert. Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich: Urlaubsbilder und Porträts, Persönliches, etwa, wie sich die Eltern in Israel kennengelernt haben, oder die erste Zeit der jungen Liora in Deutschland. Dokumentarisches, wie das Verbot der Nazis, an Juden frische Milch zu verkaufen, überlagert sich mit der Erinnerung an die brennenden Synagogen.

Hinter den Stoffbahnen steht ein gedeckter Tisch – als Symbol einer sich versammelnden Familie, aber auch als ein Sinnbild für Gespräche, die nicht stattfanden, für ein jahrelanges Schweigen, das Hilb nun durchbricht. So wie die Inszenierung, in die Hilb auch ihreTochter einbindet. Stella Hilb hat für „RembembeRING“ unter anderem Jugendliche auf der Straße nach den Stolpersteine genannten Gedenktafeln für NS-Opfer befragt. Und – so viel kann verraten werden – bei einigenAntworten zuckt man doch zusammen.

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Kritik der Schülerjury des licht.blicke 9 – Festival

Das sind ja Menschen
wie wir. ...
Gewesen.

aus Interviews, geführt mit Menschen
auf den Straßen Frankfurts